Unser erster Vorsitzender Josef Schneider hat die vergangene Zeit genutzt, um an sämtliche internationale Begegnungen des Musikvereins zurückzudenken: herausgekommen ist ein wunderbarer Artikel, der an alte Zeiten erinnert.
Corona und der damit einhergehende Lockdown haben mir viel Zeit gebracht. Diese erzwungene Ereignislosigkeit habe ich genutzt, um Erinnerungen und Gedanken aufzuschreiben, um sie an die nächste Musikergeneration weiterzureichen.
Vor 76 Jahren endet der Zweite Weltkrieg. Nur die Ältesten von uns können sich an diese Zeit erinnern. Ich bin 5 Jahre nach dem Krieg geboren. Ich habe als Kind noch viele Spuren von den Verwüstungen aus den Kriegszeiten sehen können. Mit der Zeit sind sie beseitigt worden. Nach der Zeit des Krieges stand immer die Frage im Raum: Wie kann man verhindern, dass sich eine solche Katastrophe nicht wiederholt? Politisch wurde in den Fünfzigerjahren die EWG gegründet, die später zur EU wurde. Man sitzt nun in Europa politisch und wirtschaftlich in einem Boot. In der Folgezeit wurden auch Organisationen gegründet, die nicht nur Politiker ins Ausland geschickt haben, sondern ganz normale Bürger und besonders Jugendliche. Beispiel: 1963 wurde das Deutsch-Französische Jugendwerk gegründet. Ziel der Gründung war es die „Bande zwischen der Jugend der beiden Länder enger zu gestalten und ihr Verständnis füreinander zu vertiefen…“. Ich persönlich hatte bereits 1965 den ersten Austausch mit der Partnerschule in Frankreich vor Ort und mein Briefpartner war in den Sommerferien bei uns zu Hause. Ich fand es damals sehr befremdlich die vielen Friedhöfe mit Kriegstoten zu sehen. Das sollte Einem doch zu denken geben! Aber auch die Lebensumstände kennenzulernen, die im Partnerland herrschen fand ich sehr aufregend, wie übrigens mein Partner in Deutschland später auch bei uns.
Ich halte solche Begegnungen für sehr wichtig und versuche das auch den jüngeren Leuten zu vermitteln.
Nun haben solche Begegnungen meist das Problem, dass man die Sprache des Partners nur unvollkommen spricht, was eine Unterhaltung oft recht mühsam macht. (Ja, inzwischen kommt man mit etwas Englisch überall zurecht…). Als Musiker ist es noch einfacher: Im Gegensatz zu einem gesprochenen Vortrag in der fremden Sprache muss man in der Musik nichts übersetzen. Jeder Zuhörer versteht sie. Und deswegen ist die Musik das Vehikel schlechthin sich überall verständlich zu machen. Aber auch die Gräfenhäuser Musiker haben öfter die eigenen Gemarkungsgrenzen verlassen haben und sind mit Instrumenten ins Ausland gereist.
Die erste mir bekannte Reise, damals noch mit dem Blasorchester der SKG, führte im Juni/Juli 1975 nach England. Der Kontakt ist von der Stadt Darmstadt arrangiert worden. Darmstadt führt eine Städtepartnerschaft mit der Stadt Chesterfield, in deren Distrikt befindet sich die „Shirland Miner’s Welfare Band“. Bei der Reise gaben die Gräfenhäuser Musiker mehrere Konzerte. Im Jahr darauf erfolgte der Gegenbesuch der englischen Band in Gräfenhausen.
Eine zweite Reise gab es dann 1977. Zu einem zweiten Gegenbesuch kam es aber nicht mehr, wie es hieß aus finanziellen Gründen wegen der hohen Arbeitslosigkeit in Folge des Strukturwandels der Bergbauregion. Danach ist der Kontakt eingeschlafen. Einige persönliche Kontakte werden immerhin jetzt noch gepflegt.
Auf Einladung der Stadt Darmstadt fuhr die Count City Big Band vom 10. bis 13. Juni 2004 in die Darmstädter Partnerstadt nach Alkmaar in den Niederlanden. Dort wurde ein gemeinsames Konzert mit der örtlichen Alkmaarse Big Band gegeben. Im folgenden Jahr war die Band zu Gast in Gräfenhausen.
2011 erhielten wir eine Einladung nach Norwegen. Mein Sohn hatte im Jahr zuvor ein Auslandsjahr in Norwegen absolviert. Dessen Gastmutter war seinerzeit Vorsitzende des „Siljan Jente- og Guttekorps“ (Mädchen- und Jungenorchester aus Siljan). Das Orchester wurde 60 Jahre alt und fragte uns, ob die Taktlosen an dem Jubiläumskonzert mitspielen könnten. Da ich weder das Partnerorchester noch den Ort Siljan kannte, flog ich mit meinem Sohn nach Norwegen um beides kennenzulernen. Die Reise der Taktlosen wurde anschließend für den 16. bis 20. Mai 2012 geplant. In diese Zeit fiel auch der norwegische Nationalfeiertag am 17. Mai. Wir sollten auch bei den Feierlichkeiten vor Ort mitmachen. Im Nachhinein wurde uns klar, dass das für einen Nicht-Norweger eine sehr große Ehre ist dort mitzumachen. Hotels gab es im Ort nicht, alle sollen privat unterkommen. Auf Vermittlung der norwegischen Botschaft gewährte die „Willy-Brandt-Stiftung“ einen großzügigen Zuschuss zu den Reisekosten. Die Reise lief wie geplant, der Aufwand an Vorbereitung war allerdings recht beträchtlich: Transport der Instrumente auf dem Landweg, dafür mussten Transportpapiere beschafft worden, weil die EU verlassen wurde. Dann mit dem Bus zum Flughafen, Flug nach Oslo, Bus von Oslo nach Siljan und wieder zurück. Ich fand diese Reise sehr aufregend: Sehr freundliche Menschen, am Nationalfeiertag zahlreiche Umzüge meist in Tracht, besonders der große Umzug durch Skien. Viele gut gelaunte Gäste am Straßenrand, kein Alkohol, kein Konfetti – die Straße ist sauber geblieben, so ganz anders wie man es bei den Umzügen bei uns kennt.
Anfang November 2012 kam das „Siljan Jente- og Guttekorps“ zum 25-jährigen Jubiläum des Musikverein nach Gräfenhausen zum Gegenbesuch. Die norwegischen Gäste umrahmten die akademische Feier musikalisch. Am folgenden Tag war das Jubiläumskonzert. Die Gäste bestritten auch einen Teil dieses Konzertes mit Melodien aus deren Heimat. Natürlich blieb auch Zeit die Umgebung zu zeigen. So wurde das Braunshardter Schloss und die Darmstädter Mathildenhöhe besichtigt. In bester Erinnerung blieb ein gemeinsames Abendessen im „Grohe“ in Darmstadt. Auf Wunsch der Gäste musste auf dem Rückweg ein Supermarkt mit Spirituosenabteilung angesteuert werden – in Norwegen kosten diese Getränke etwa das dreifache. Das muss man doch nutzen…
Vom 15. bis 18. Mai 2014 fand der zweite Besuch in Norwegen fand. Aufgrund der Erfahrungen der ersten Reise zwei Jahre vorher waren die Vorbereitungen schon etwas einfacher. Die norwegischen Gäste hatten uns ein schönes Programm von Besichtigungen und Spaziergängen vorbereitet. Darunter ein Grillabend in einem Lapplandzelt. Wieder durften die Taktlosen am Nationalfeiertag mitspielen. Dieser Feiertag war ein besonderes Jubiläum: Die Verfassung Norwegens trat vor genau 200 Jahren in Kraft. Auch diesmal war der Umzug durch Skien ein Höhepunkt.
Man hat erwartet, dass dieser Kontakt regelmäßig weitergeführt werden könnte, aber es kam es anders. Wegen Nachwuchsmangel hat das norwegische Orchester seinen Spielbetrieb eingestellt.
2018 wurden wir vom Verschwisterungskomitee der Stadt Weiterstadt angefragt, ob der Musikverein einen Kontakt mit der Musikschule der Partnerstadt Verneuil sur Seine in Frankreich weiterpflegen könnte. Der bestehende Kontakt mit den Kollegen aus Braunshardt ist eingestellt und die französischen Freunde suchten einen Partner. Ich habe dann bei der nächsten Bürgerfahrt die französischen Musiker besucht und habe mich lange mit der musikalischen Leiterin der Musikschule, Frau Cosima Allo unterhalten. Zitat aus einer der ersten Mails miteinander: « L’orchestre et le choeur de l’Ecole Municipale de Musique de Verneuil sur Seine seraient très heureux de faire votre connaissance afin d’élaborer une rencontre musicale avec l’orchestre Die Taktlosen. Notre amitié franco-allemande se doit de continuer. C’est important. » (Das Orchester und der Chor der Städtischen Musikschule von Verneuil an der Seine sind glücklich ihre Bekanntschaft zu machen und ein Treffen mit dem Orchester die Taktlosen vorzubereiten. Unsere französisch-deutsche Freundschaft muss weitergeführt werden. Das ist wichtig.)
Mit viel Elan wurden dann konkrete Termine vereinbart: In ganz Frankreich gibt es am 21. Juni ein „Fête de la Musique“. In Verneuil wird dafür eine Bühne aufgebaut, die verschiedenen Gruppen wechseln sich im Stundentakt ab. Die Count City Big Band fuhr vom 20. bis 23. Juni 2019 nach Frankreich und repräsentierte den Musikverein erfolgreich auf dem „Fête de la Musique“. Außer dem Auftritt der Big Band in Verneuil war auch ein Besichtigungstermin im nahegelegenen Paris vorgesehen. Highlight war sicher ein Abend der Band, den Musiker der Musikschule und des Verschwisterungskomitee im Hof der Musikschule.
Der geplante Gegenbesuch der französischen Musiker in Gräfenhausen wurde mehrfach verschoben – bis Corona alle Pläne zunichte gemacht hat.
Corona hat dann auch den schon fest gebuchten Besuch der Blaskapelle zum „Fête de la Musique“ 2020 verhindert.
Hoffen wir, dass die Pandemie bald zu Ende geht und ein nächstes Kapitel der Kontakte zwischen Verneuil und Gräfenhausen aufgeschlagen werden kann.
Von Josef Schneider, am 17.06.2021.